Liebe Gemeindemitglieder, liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde!
Das Evangelium am ersten Sonntag nach Epiphanias (6.1.) gehört für mich zu den bemerkenswertesten Szenen aus der Bibel. Sie schildert die Taufe Jesu, hier in der Überlieferung nach Matthäus 3,13-17: „Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s ihm zu. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
Auf den ersten Blick eine sympathische Vorstellung: Auch Jesus wurde getauft, so wie ich und viele von uns. Das verbindet. Er und wir gehören zusammen. Genauer betrachtet fallen gravierende Unterschiede auf: Statt eines kunstvollen Taufbeckens in einem geheizten Kirchenraum ein unverbautes Ufer am Jordanfluss. Liturgische Texte, Lieder und Gebete fehlen. Untertauchen im strömenden Fluss statt des warmen Wassers aus einem Krug. Als Täufer kein geistlicher Amtsträger im Talar, sondern ein wirkender Einzelgänger, ein Endzeitprediger, der fordert: Macht nicht mehr weiter so wie bisher, sondern geht einen neuen, besseren Weg, der sich am Reich Gottes, am Messias orientiert.
Als Jesus zu Johannes an den Jordan kommt, erkennt er in ihm den Messias – woran, wird nicht berichtet. Johannes möchte die Taufe Jesu verweigern: „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“, fragt Johannes überrascht und demütig zugleich. „Du bist doch der einzige, der nicht umkehren und deshalb auch nicht getauft werden muss, denn Du zeigst und ja den Weg ins Reich Gottes!“
Aber Jesus möchte getauft werden. Er möchte zeigen: Ich bin einer wie ihr. Ich bin einer von euch und einer für euch. Jesus solidarisiert sich mit den Schwachen, den Unvollkommenen, den Zweiflern, den Sündern. Daran wird die große Menschenfreundlichkeit Jesu sichtbar: Er tut etwas, was er nicht müsste. Und nachdem Jesus tut, was er nicht müsste, öffnet sich der Himmel und Gott selbst bestätigt: Das ist mein Kind, an dem ich Wohlgefallen habe.
Die Folgen daraus macht Jesus durch sein Leben deutlich: Tun, was man nicht müsste. Jesus müsste seinen Weg nicht so gehen, wie er ihn geht. Er müsste sich nicht mit Außenseitern wie Aussätzigen, Zöllnern, Prostituierten etc. abgeben, ihnen Zuwendung schenken und dadurch selbst zum Außenseiter werden. Er müsste die Sicherheit eines geregelten Alltagslebens nicht hinter sich lassen. Er müsste nicht jahrelang als Wanderprediger herumziehen und sich durch Kritik die Feindschaft von Staats- und Religionsvertretern zuziehen. Er müsste sich nicht gefangen nehmen, geißeln und hinrichten lassen – er hat nichts Falsches getan, nichts verbrochen, er ist unschuldig. Warum nur tut dieser Jesus so viel, was er nicht tun müsste?
Aber genau das ist der Weg: Das Reich Gottes wächst dort, wo Menschen bereit sind, über sich selbst hinauszuwachsen und das tun, was sie eigentlich nicht unbedingt tun müssten. Wir können auch zu solchen Menschen werden und solche Menschen sein. Nicht, um uns selbst den Weg ins Himmelreich zu ebnen, sondern deshalb, weil wir wie Jesus getauft sind. Weil wir wie er Kinder Gottes sind, an denen er Wohlgefallen hat.
Eine gesegnete Woche wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer Günter Wagner