Liebe Gemeindemitglieder, liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde!

Der 5. Sonntag der Passions- bzw. Fastenzeit trägt den lateinischen Namen „Judika“. Der Name geht zurück auf die Anfangsworte von Psalm 42: „Schaffe mir Recht, Gott.“ Es lohnt sich, den gesamten Wortlaut dieses alten Gebetes zu lesen:

Schaffe mir Recht, Gott, / und führe meine Sache wider das treulose Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten! 2 Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? 3 Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung, 4 dass ich hineingehe zum Altar Gottes, / zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott. 5 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Offenbar in einen Konflikt verwickelt und in einer großen Lebenskrise gefangen, verspürt der Psalmbeter große Unruhe und Angst in sich. Er fühlt sich verlassen – der Feind bedrängt ihn.

Mich lässt das an Menschen denken, die aktuell ähnlich quälende Gedanken umtreiben. Auf Intensivstationen ringen sie um Atem: „Warum ich?“. Als Teil des Gesundheitspersonals, physisch und psychisch an Grenzen angelangt, klagen sie: „Ich kann nicht mehr!“. Als Angehörige bangen sie um ihre schwerkranken Lieben und fragen: „Müssen wir etwa auf so traurige Weise für immer voneinander Abschied nehmen?“ Als Verantwortliche in Staat und Gesellschaft suchen sie fieberhaft nach Lösungen: „Werden die Maßnahmen greifen?“ u.a.

Mir fallen darüber hinaus Menschen ein, die ohnehin und jetzt auch in den Medien an den Rand gedrängt sind: Kinder, Frauen und Männer in Flüchtlingslagern und Kriegsgebieten, in den Slums von Großstädten; Hungernde, Obdachlose, Opfer von Gewalt und Menschenhandel, Suchtkranke,

Vereinsamte, Suizidgefährdete …, die Liste fortzusetzen fällt mir – leider – nicht schwer.

Der bedrängende Feind ist nicht immer – wie im Fall des Corona-Virus – klein und unsichtbar. Im Gegenteil, oft zeigt er sein hässliches Gesicht in Form von purer Machtgier, blindem Fanatismus und eitler Ichsucht und kaum jemand entkommt ihm, im Kleinen wie im Großen.

Was aber tun? – Der Psalmbeter ahnt, dass er sich nicht selbst aus dieser Lage befreien kann. Er ist auf Hilfe von außen angewiesen. Ihm wird bewusst: Selbsterlösung ist keine Lösung! Er delegiert seine Angelegenheit an eine höhere Instanz, an Gott. Aber: Nicht um die Krise loszuwerden, bittet er, sondern darum, dass Gott sich seiner Sache annimmt und ihn dabei nicht alleine lässt.

Wir wissen nicht, ob der Psalmist Hilfe erfahren hat. Wir können uns aber an Jesus orientieren,

der dieses Gebet vermutlich selbst oft gebetet hat. Ich denke, er hat aus dem Vertrauen in Gottes Nähe, das aus dem Psalm spricht, Kraft schöpfen können für seinen eigenen Weg. Dieser führte ihn nicht am Leid vorbei, wohl aber hindurch.

Daran könnten wir uns aufrichten. Wir können vor den Krisen unseres Daseins nicht einfach flüchten. Wir dürfen aber darauf vertrauen, dass Gott mit uns durch die finsteren Täler geht.

Das gibt uns Mut, gegen Unrecht aufzustehen und Menschen in Not zu helfen. Und es schenkt Kraft, auch schwere Lasten in unserem Leben zu ertragen, meint,

verbunden mit den besten Segenswünschen,

Ihr Pfarrer Günter Wagner