Liebe Gemeinde, wir alle befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation. Wir kommen der Aufforderung der Verantwortlichen in Staat und Kirche nach, setzen Gottesdienste und alle Aktivitäten und Zusammenkünfte im Gemeindeleben vorläufig aus und reduzieren alle direkten sozialen Kontakte soweit wie möglich. Angesichts der Coronavirus-Pandemie erscheint diese Maßnahme notwendig, um die Menschen aus den Risikogruppen zu schützen und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. Für Menschen in der Nachfolge Jesu, denen die Würde des Lebens die Solidarität in Not zentrale Anliegen sind, ist sie schmerzlich. Denn Gottesdienste zu erleben, mit anderen zu feiern, Gottes Wort zu hören, zu singen, zu beten, Segenszuspruch zu erfahren, sich mit anderen zu treffen und auszutauschen – dieses Bedürfnis bleibt. Denn lebendiger Glaube sehnt sich nach Gemeinschaft im Füreinander-Dasein. Tätige Nächstenliebe braucht Wege vom Ich zum Du. Stattdessen macht ich in der aktuellen Krise das Empfinden einer Art geistlicher Obdach- und Heimatlosigkeit breit.
Der Predigttext für den Sonntag Okuli, 15.3.2020 erscheint hilfreich: Als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu Jesus: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er
sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Lukas 9,57-62
Wir lesen vom Menschensohn, der nichts hat, wo er sein Haupt hinlegt. Auch er ist obdachlos. Er kennt die Abwesenheit von Geborgen- und Sicherheit. Jesus nährt in uns die Hoffnung, dass wieder die Zeit kommen wird, in der wir unsere Gemeinschaft feiern, einander nahe sein und einander die Hand reichen dürfen. Gleichzeitig ruft Jesus radikal zur Nachfolge auf: Alles stehen und liegen lassen, ihm nachfolgen auf dem Weg, das Evangelium vom Reich Gottes unter die Menschen zu bringen. Das könnte für uns heute bedeuten: Erkennen, was jetzt dran ist, wo wir jetzt gebraucht werden – und es könnte heißen: Alles andere, das nicht Notwendige, sein lassen…
Ein Miteinander freilich können wir leben: Im Gebet sind wir verbunden mit den Kranken und ihren Angehörigen; mit den Menschen, die große Angst vor Ansteckung haben; mit den Menschen, die sich in Quarantäne befinden; mit den Menschen, die durch diese Krise ihren Arbeitsplatz verlieren oder zur Zeit einen großen Teil Ihres Einkommens einbüßen; mit den Menschen, die nach Gemeinschaft in der Kirche hungern, diese aber nicht in gewohnter Weise erfahren können. Beten wir für die Menschen im Gesundheitswesen, dass Sie ausreichend Kraft und Ausdauer haben, und für die Verantwortlichen in der Politik und bei den Behörden, dass sie die richtigen Maßnahmen setzen. Und vergessen wir darüber jene nicht, die angesichts der Pandemie an Europas Grenzen der Vergessenheit anheim zu fallen drohen.
In der Verbundenheit unseres Glaubens grüßt Sie
Ihr Pfarrer Günter Wagner